In Kooperation mit dem Zukunftsinstitut

Team Mensch & Maschine:Der Faktor KI in der Arbeitswelt

 

Kronberg i.Ts., 2020

Künstliche Intelligenz wird dort zum Wirtschaftsfaktor, wo sie nicht als Konkurrenz, sondern als sinnvolle Ergänzung zur menschlichen Intelligenz verstanden wird. Prozesse können mithilfe von KI nicht einfach automatisiert, sondern völlig neu gedacht werden.

 

Vom Angstbild zur Zukunftsvision

Die Angst, dass in zukünftigen Arbeitswelten Menschen durch Maschinen ersetzt werden, ist nun auch bei Geistesarbeitern und Hochqualifizierten angekommen: Laut einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC glauben 56 Prozent der kreativen und verwaltenden Büroangestellten, dass Künstliche Intelligenz (KI) den Verlust von Arbeitsplätzen auslösen kann. Knapp jeder fünfte Berufstätige in Deutschland fühlt sich persönlich von der Digitalisierung betroffen und erwartet innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre negative Auswirkungen auf seinen Arbeitsplatz. Sechs von zehn sehen sich für die Veränderungen durch KI nur unzureichend ausgebildet (PwC 2018).

 

Während die einen Horrorszenarien vom Verschwinden eines Viertels der derzeit bestehenden Jobs in den Industriestaaten zeichnen, sehen andere in KI eine Art universellen Problemlöser, der meist zu vorschnellem Aktionismus führt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass KI die menschliche Intelligenz ersetzen wird. Wie bei vielen der vergangenen technologischen Entwicklungen schwingt auch hier eine gewisse Sorge mit, dass die eigenen menschlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten entwertet, übertrumpft und obsolet gemacht werden könnten. Um KI produktiv nutzen zu können, braucht es jedoch ein positives Zukunftsbild. Das gelingt durch einen Blick nicht auf mögliche Probleme, sondern auf die Potenziale und Chancen, die KI für die Arbeitswelt der Zukunft eröffnet.

 

Menschengemachte Algorithmen

Es ist also als eine gute Nachricht zu begreifen, dass 5 Prozent aller Berufe (vor allem repetitive, physische Arbeiten sowie Datenverarbeitung und -sammlung) laut einer Studie des McKinsey Global Institute voll automatisierbar sind, während fast zwei Drittel der Jobs sich zumindest zu 30 Prozent aus Aktivitäten zusammensetzen, die Maschinen übernehmen könnten (McKinsey 2017). So ist zum Beispiel der Anwaltsberuf zu ca. 23 Prozent automatisierbar – was echte Vorteile bringt: Mittels KI-Techniken wie prädikativer Codierung können für komplexe Fälle relevante Dokumente schnell und effizient gefunden, gescannt und so stundenlange manuelle Recherchen verkürzt werden. Auch Ärzte könnten künftig erheblich von KI profitieren, wenn es um den Abgleich von Symptommustern und die Diagnosestellung geht. Welche Berufe potenziell automatisiert werden könnten und in welchem Umfang, bildet der Job Futuromat des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung auf der Plattform job-futoromat.iab.de ab.

 

Doch KI reduziert nicht nur menschliche Arbeit, sondern schafft auch neue Aufgaben- und Betätigungsfelder: Denn hinter jeder KI-Lösung stehen Menschen, die an den Algorithmen dafür arbeiten und sie an die menschlichen Bedürfnisse anpassen. Dafür braucht es künftig mehr Experten, die sowohl im kreativen und lösungsorientierten Denken geschult sind als auch in ethischen Fragen bei der Entwicklung von Algorithmen. Zu einer hohen Qualität der Ergebnisse trägt zudem der Diversity-Faktor bei: Aktuell arbeiten beispielsweise nur rund 20 Prozent Frauen in Führungspositionen von KI-Unternehmen, was wiederum Auswirkungen auf die Algorithmen und deren Voreingenommenheit gegenüber Frauen und Minderheiten haben kann (Ito 2019).

 

KI-Expertise in Unternehmen gefragt

Auch in den Unternehmen, in denen KI zur Anwendung kommen soll, braucht es künftig Arbeitskräfte, die sich laufend an technologische Entwicklungen anpassen und schnell neue digitale Fähigkeiten adaptieren können. Sie müssen KI-Konzepte verstehen und Ideen entwickeln können, welche neuen KI-Produkte das Unternehmen weiterbringen könnten. Menschliche Urteilskraft spielt also eine zentrale Rolle bei der Frage, was KI in Zukunft leisten kann und wird. Dafür gilt es, die richtigen Fragen zu stellen und Problempunkte in den Arbeitsabläufen des Unternehmens zu erkennen, die sich mit Machine Learning lösen lassen.

 

Branchenunabhängig wird es dabei in Zukunft wichtig sein, für die Entwicklung von neuen KI-Anwendungsfällen gemischte Arbeitsgruppen mit IT- und Fachexperten zu bilden, um das Wissen im Unternehmen zusammenzubringen: So kennt ein Service-Designer beispielsweise seine Kunden, der Data Scientist dagegen die Algorithmen. Erst wenn beide zusammenarbeiten, lassen sich erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickeln.

 

Intelligence Augmentation: Der Mensch im Zentrum

Das Wichtigste bei der Integration von KI in Unternehmen ist jedoch die Arbeit an dem richtigen Verständnis der Rolle, die KI übernehmen kann: Maschinen nicht als Konkurrenz, sondern als sinnvolle Ergänzung zur menschlichen Intelligenz zu sehen, wird zum Credo der digitalisierten Zukunft. Das bedeutet auch, KI nicht nur als „Automatisierungsmaschine“ von bestehenden Prozessen zu verstehen, die den Menschen in die Rolle der Kontrolle und Verantwortung versetzt, sondern Prozesse völlig neu zu denken – unter dem Aspekt der bestmöglichen Kombination der verschiedenen Intelligenz-Formen. Das bedeutet, den Menschen und die Verbesserung, Erweiterung und Ergänzung seiner Fähigkeiten immer in den Mittelpunkt zu stellen: „Intelligence Augmentation“ heißt, die besten Eigenschaften von Mensch und Maschine zu verknüpfen, sodass sie sich optimal und zum größten Nutzen des Menschen ergänzen.

 

Denn Fakt ist auch: Wo Maschinen menschliche Arbeit ersetzen können, wird der Mensch nicht überflüssig, sondern gewinnt im Gegenteil neue Freiräume und mehr Zeit für andere Aufgaben: kreative Lösungen zu finden, Gespräche zu führen oder in komplexen Situationen die richtige Entscheidung zu finden. Wo digitale Technologien mit Rechenleistung und Mustererkennung innerhalb von enormen Datenmengen überzeugen, zeichnen sich Menschen durch ihr Urteilsvermögen, ihre Kreativität, Erfahrung und Fantasie aus. Sobald Unternehmen und ihre Mitarbeiter maschinelles Lernen und Co. nicht mehr als Bedrohung, sondern als Gewinn im Arbeitsalltag verstehen, können sogar Management-Positionen von KI-Anwendungen profitieren, wenn es zum Beispiel um die Analyse von Berichten und Daten geht, die mit höherer Effizienz von Maschinen durchgeführt werden können.

 

Mächtiges Tool mit großem Potenzial

Bei Porsche sieht man das Teamwork zwischen KI und Mensch bereits als zukunftsweisend: So investiert der Autobauer gezielt in ein eigenes KI-Kompetenzzentrum, wo bis 2020 bis zu 40 Experten ausgebildet werden sollen. Unternehmensübergreifend werden dort potenzielle KI-Anwendungen identifiziert: Maschinelles Lernen kann zum Beispiel helfen, eine größere Anzahl geometrischer Varianten auf mögliche Eignung für den Autobau hin zu untersuchen, ohne dass die Rechenzeit explodiert. Datenauswertungen realer und virtueller Tests werden einfacher, weil durch die Mustererkennung von KI auffällige Abweichungen von den Durchschnittswerten schneller erkennbar werden (Winterhagen 2018).

 

Seitens der Wirtschaft wird das Wertschöpfungspotenzial durch den Einsatz von KI als enorm eingeschätzt: Das Beratungsunternehmen McKinsey prognostiziert, dass bis 2030 circa 70 Prozent aller Unternehmen KI-Technologien einführen werden – was einen weltweiten Wertschöpfungszuwachs von 13 Milliarden US-Dollar und ein Wachstum des BIP um zusätzlich 1,2 Prozent bedeuten würde. Zum Vergleich: Die Einführung von Industrierobotern in den 90er Jahren hatte nur für 0,6 Prozent mehr Wachstum gesorgt (McKinsey 2018). Das Marktforschungsinstitut Tractica sagt für Unternehmensanwendungen im Bereich KI in Europa bis 2025 ein Umsatzvolumen von fast acht Milliarden US-Dollar voraus – 2016 waren es noch nicht einmal 100 Millionen (Tractica 2016).

 

Eine Welt ohne KI wird es nicht mehr geben, eine frühzeitige Auseinandersetzung mit diesem mächtigen Arbeitstool ist also für alle Unternehmen sinnvoll. Die Annäherung an KI ist dabei ein Prozess, bei dem es wichtig ist, nicht auf die perfekte Anwendung zu warten, sondern mutig loszulegen und mit KI als neuem Arbeitspartner zu experimentieren.

 

Literatur

Ito, Robert (2019): For AI, a real-world reality check. An intelligent computer is only as well-rounded as the people who teach it. In: about.google, 6.9.2019

McKinsey (2018): Notes from the AI frontier, Modeling the Impact of AI on the world economy. San Francisco

McKinsey (2017): A Future that works: Automation, Employment and Productivity. San Francisco

PwC (2018): Bevölkerungsbefragung Künstliche Intelligenz – Der digitale Arbeitsmarkt. In: pwc.de, 6.9.2019

Tractica (2016): Tractica’s Artificial Intelligence for Enterprise Applications: Prognose zum Umsatz mit Unternehmensanwendungen im Bereich künstliche Intelligenz in Europa von 2016 bis 2015. In: statista.com, 6.9.2019

Winterhagen, Johannes (2018): Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht der Porsche AG. Stuttgart

Zukunftsinstitut (Hg.) (2019): Künstliche Intelligenz. Wie wir KI als Zukunftstechnologie produktiv nutzen können. Frankfurt am Main